Ein harter Schlag für Wissenschafts- und Fachbuchverlage
Das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz
Mit der Verabschiedung des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz müssen jetzt vorallem wissenschaftliche Verlage mit großen Umsatzeinbußen zu rechnen. Erfahren Sie hier alles Wissenswerte zum neuen Gesetz.
Kommentar von Theo Müller / Marketing
Der Bundestag hat am Freitag, den 30. Juni 2017 das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz (UrhWissG) beschlossen. Der 30. Juni war übrigens der letzte Sitzungstag des Bundestages vor der Sommerpause und somit die letzte Chance in dieser Legislaturperiode vor den Bundestagswahlen im September 2017, das heiß diskutierte Gesetz umzusetzen. Dieses Gesetz ändert das bestehende Urheberrechtsgesetz mit dem Ziel gewisse Nutzungen im Bereich Bildung und Wissenschaft gesetzlich zu erlauben, ohne dass es dafür einer Zustimmung des Rechteinhabers bedarf. Bisher war das zwar auch schon in gewissen Fällen möglich, aber nicht klar durchschaubar und verbunden mit großen Rechtsunsicherheiten.
Nutzungen ohne Zustimmung der Rechteinhaber
Im folgenden ein Überblick über die wichtigsten neuen Regelungen:
- Mit Inkrafttreten des Gesetzes ab März 2018 dürfen bis zu 15 % eines Werkes bei der Nutzung im Rahmen von Bildungseinrichtungen ohne Zustimmung der Rechteinhaber verwendet werden.
- Weiterhin können bis zu 10% eines Werkes für Sammlungen von Unterrichts- und Lehrmaterialien genutzt werden (z.B. für Semesterapparate).
- Bis zu 15% eines Werkes dürfen im Rahmen von wissenschaftlicher Forschung vervielfältigt werden und hier einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werden.
- Bis zu 75% eines Werkes dürfen im Rahmen von wissenschaftlicher Forschung vervielfältigt werden, sofern dies für die eigene (interne) Nutzung geschieht.
- Bibliotheken dürfen 100% der Werke vervielfältigen und Bibliotheken-Nutzer dürfen dann pro Sitzung 10% des vervielfältigten Werkes nutzen.
Vergütungsanspruch ungeklärt
Bei diesen doch sehr umfangreichen Nutzungsrechten, stellt sich natürlich die Frage, zu welchem Gegenwert diese Nutzung geschehen soll. Das Gesetz legt für diese eine “angemessene Vergütung” der Rechteinhaber fest, welche nach einer Pauschalregelung getroffen werden soll. Was denn nun “angemessen” genau heißen soll und wie diese Pauschalregelung genau funktioniert wird im Weiteren von den Verwertungsgesellschaften definiert werden müssen. Jedoch fehlt es auf EU-Ebene dafür aktuell an Rechtsgrundlagen. Viele Verlage stehen jetzt vor der Frage, wie diese Pauschalvergütung konkret aussehen soll. Das Gesetz noch vor einer klaren Regelung auf EU Ebene zu beschließen war letztendlich ein Schnellschuss.
Lizenzierung 2.0 oder Pauschalen?
Im Grunde funktionieren die Publikationsstrukturen in Deutschland gut. Das neue Gesetz wird diese nun aushebeln. Überhaupt stellt sich die Frage, ob heute im digitalen Zeitalter Pauschal-Beteiligungen wirklich der Weisheit letzter Schluss sind. Technische Möglichkeiten zur Abrechnung auf Basis der tatsächlichen Nutzung gibt es theoretisch genug. Das Problem scheint nur bei der Umsetzung zu liegen. Ein Pilotprojekt zur Abrechnung von Einzellizenzen wurde im Wintersemester 2014/2015 an der Universität Osnabrück in Gemeinschaft mit der VG Wort durchgeführt. Hier wurden Einzelnutzungen über eine zentrale Eingabemaske erfasst. Es sollte der Mehraufwand für die Lizenzierung von Einzelnutzungen ermittelt werden. Das Projekt kam zum Ergebnis, dass die Einzelerfassung zu aufwendig sei und die Gefahr besteht, dass Kosten und Aufwand für die Erfassung der Lizenz teurer sind, als die Lizenzgebühren selbst. Hier stellt sich aber die Frage, ob wirklich alle technischen Möglichkeiten ausgereizt wurden, um das Lizenzsystem wirklich einfach und praktikabel zu gestalten.
Ein Gedankenexperiment
Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Die UrhWiss-App. Mit dieser App könnten Wissenschaftler einfach die verwendeten Seiten aus Büchern mit dem Smartphone abfotografieren. Ein Texterkennungsprogramm würde dann das Werk erkennen und leitet die Lizenz automatisch weiter. Durch ein intuitives System, auch per Spracherkennung, wird in der App angegeben von welcher Anzahl Personen das Werk genutzt wird. Bei Texten in digitaler Form könnte direkt über die zugehörigen Metadaten die Lizenzierung erfolgen. Der Arbeitsaufwand für die Wissenschaftler wäre eine Sache von Sekunden.
Blockchain-Technologie könnte das ganze Verfahren noch mal einfacher und exakter gestalten. Die Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, mit der sich unter anderem unveränderliche und transparente Lizenzierung von Daten umsetzen ließe.
Jedoch liegt heutzutage nur ein sehr kleiner Teil aller veröffentlichter Texte in geeigneter Datenform vor, sodass damit eine solche umfassende Texterkennung aktuell noch nicht möglich wäre.
Hier müsste noch einiges an Vorarbeit geleistet werden. Es müssten weitere Modelle und Prototypen getestet werden, um dieses Gedankenexperiment realisieren zu können. Try and Error lautet das Leitprinzip zur Entwicklung von Lösungen in der digitalen Welt und das gilt nicht nur für Geschäftsmodelle in der freien Wirtschaft.
Der Eintritt in die digitale Wissensgesellschaft passiert eben nicht von heute auf morgen und schon gar nicht mit einem noch schnell vor dem Ende der Legislaturperiode durch den Bundestag gepeitschtem Gesetz.
Big Data und Text Mining
Ein weitere Interessante Vorschrift im neuen Gesetz könnte allerdings eine Grundlage für die oben im Gedankenexperiment vorgeschlagene Lösung des Datenproblems bei der Einzellizenzierung schaffen. Durch das Gesetz wird nun sogenanntes Text Mining im nicht-kommerziellen und wissenschaftlichen Rahmen erlaubt. Text Mining bezeichnet die durch Algorithmen gesteuerte Analyse von Texten. Das Ursprungsmaterial darf nach dem neuen Gesetz auch automatisiert und systematisch vervielfältigt werden. Im Zeitalter von Big Data und einer gewaltigen Zunahme an digitalen Informationen, sind gesetzliche Vorschriften zu diesem Einsatzgebiet dringend notwendig. In dieser Hinsicht hat das UrhWissG durchaus ein positives Zeichen gesetzt.
Somit dürfen Texte nun umfassend analysiert werden, ohne dass einzelne Lizenzen ausgehandelt werden müssen. Wenn somit alle wissenschaftlichen Texte analysiert und digitalisiert sind, könnten diese mit entsprechenden Nachjustierungen des Gesetzes und der richtigen Technologie auch wie im oben aufgezeigten Gedankenexperiment einfach für weitergehende Nutzungen lizenziert werden. Das ist sicherlich noch viel Konjunktiv aber ein Grundstein hierfür ist damit erst einmal gelegt.
Das Gesetz als Testballon
Ungewöhnlich am Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz ist die Tatsache, dass die Wirksamkeit auf eine Frist von fünf Jahren, also bis 2023 festgelegt wurde. Das Gesetz soll vier Jahre nach Wirksamwerden auf seinen Erfolg hin überprüft werden. Tatsächlich sind 4 bis 5 Jahre aber eine durchaus lange Zeit, um die deutsche Verlagswelt nachhaltig zu schädigen. Warum ausgerechnet vier Jahre bis zu Evaluation gewartet werden soll, ist nicht wirklich schlüssig. Auffällig ist natürlich, dass die Entscheidung damit in die übernächste Legislaturperiode verschoben wurde.
Spielt die Verfassung eigentlich mit?
Letztendlich bestehen beim Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz auch noch verfassungsrechtliche Fragen denn die Regelungen könnten grundgesetzwidrig sein, da sie sowohl in das Eigentumsrecht als auch in die Wissenschaftsfreiheit eingreifen.
Das Eigentum der Verlage wird verletzt, weil die neuen Regelungen einer Teilenteignung der Verlage gleich kommen könnten. In die Wissenschaftsfreiheit wird eingriffen, indem die wirtschaftliche Grundlage für wissenschaftliche Publikationen aufgeweicht wird.
Dem gegenüber soll die Wissenschaftsfreiheit von den neuen Regelungen profitieren, da nun klare Regelungen für die Verwendung von Literatur für wissenschaftliche Zwecke geschaffen wurden.
Der verfassungsrechtliche Grundsatz der praktischen Konkordanz beschreibt bei Gegenüberstellung zweier Rechtsgüter die Findung einer Problemlösung, mit welcher beide Positionen so weit zurücktreten müssen, damit beide noch ihre optimale Wirksamkeit entfalten können. Ob das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz diesen Spagat zwischen Wissenschaftsfreiheit und Eigentumsgarantie wirklich herstellt, kann nach der aktuellen Faktenlage bezweifelt werden.
Wie groß die Eingriffe in das Grundgesetz aber tatsächlich sind und ob diese zu einer Aufhebung des Gesetzes führen würden, muss nun auf juristischem Wege überprüft werden. Der Börsenverein hat eine Prüfung diesbezüglich angekündigt. Es bleibt spannend.
Kommentar von Robert Görlich / Geschäftsführer
Den wissenschaftlichen Verlagen wurde in den letzten Jahren durch die vielen Veränderungen (z.B. durch die Digitalisierung oder wegfallender Beteiligungen an der VG Wort) die Arbeit erschwert. Das neue Gesetz schafft weitere Unklarheiten, zusätzliche Verwaltung und dadurch zusätzliche Kosten, die am Ende des Tages zu Lasten aller Beteiligten gehen. Insbesondere die VG Wort Problematik hat gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist Vergütungen zu zentralisieren, sondern eine gesunde Wettbewerbssituation zu ermöglichen. Der Verlag wirbt um Autoren, Autoren suchen sich einen Verlag, Inhalte konkurrieren um das Rezipieren der Leser und deren Bewertung. Die globalen Plattformen werden am Ende des Tages dank schwammiger Gesetze Nutznießer sein.