Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
So gestalten digitale Anbieter und Verlage eine inklusive Zukunft
Haben Sie sich schon mal gefragt, wie viele Menschen von digitalen Angeboten ausgeschlossen sind, weil diese nicht barrierefrei gestaltet sind? Leider ist das in Deutschland für Millionen von Menschen Alltag. Das soll sich jedoch ändern, denn mit dem neuen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das am 28. Juni 2025 in Kraft tritt, wird ein entscheidender Schritt in Richtung Chancengleichheit unternommen. Die neuen Auflagen setzen die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) in nationales Recht um und sollen für mehr Barrierefreiheit in der gesamten EU sorgen.
Was genau das neue Gesetz vorschreibt, für wen es gilt und wie Unternehmen die Anforderungen umsetzen, erfahren Sie im Folgenden.
Das BFSG – Barrierefreiheit als Pflicht
Das BFSG wurde ins Leben gerufen, um die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen zu verbessern und somit Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Die Dimension dieses Themas ist nicht zu unterschätzen, denn allein in Deutschland leben 7,9 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung und EU-weit werden rund 87 Millionen Menschen von den verbesserten Zugangsrechten profitieren. Noch nicht mit eingerechnet ist die alternde Bevölkerung, die zunehmend auf barrierefreie Lösungen angewiesen sein wird.
Ein Beispiel: Frau Müller, 68 Jahre alt, hat eine Sehbehinderung. Sie liebt es, Bücher zu lesen, hat aber oft Schwierigkeiten, digitale Bücher ohne entsprechende Anpassungen zu nutzen. Mit barrierefreien E-Books könnte sie endlich ohne Hindernisse in ihre Lieblingslektüre eintauchen. Solche Fälle verdeutlichen, wie wichtig inklusive Lösungen sind.
Deswegen verpflichtet das BFSG Unternehmen zur Umsetzung von Barrierefreiheit und setzt verbindliche, für die gesamte EU geltende Standards. Gleichzeitig sorgt es für fairere Wettbewerbsbedingungen, da dieselben Regeln für alle Anbieter gelten.
Ist Ihr Unternehmen betroffen und wie bereiten Sie sich vor?
Das BFSG tritt am 28. Juni 2025 in Kraft und gilt für eine breite Palette von Akteuren: Hersteller, Händler, Dienstleister und Verlage. Zu den betroffenen Produkten und Dienstleistungen zählen Hardware wie Smartphones, Tablets und Selbstbedienungsterminals, Bank- und Telekommunikationsdienste sowie digitale Angebote wie E-Books und E-Commerce-Plattformen.
Teilweise vom BFSG ausgenommen sind Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von maximal zwei Millionen Euro. Für alle anderen gilt: Je früher Sie mit der Umsetzung beginnen, desto besser. Denn Unternehmen, die die Vorgaben nicht einhalten, riskieren empfindliche Bußgelder.
Praxisbeispiel: Eine frühzeitige Umsetzung zahlt sich aus
Bereits 2003 begann die Deutsche Telekom, eines der führenden Telekommunikationsunternehmen in Europa, mit der Anpassung ihrer Dienste. Das Unternehmen testete regelmäßig mit Nutzergruppen, darunter Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen, und optimierte seine Anwendungen konsequent auf Barrierefreiheit. Dank dieser frühzeitigen Bemühungen steigerte die Deutsche Telekom die Zufriedenheit ihrer Kunden und stärkte zudem ihr Image als innovativer und verantwortungsvoller Anbieter.
Hier sind 4 Tipps, mit denen Sie sich schon jetzt auf das BFSG vorbereiten:
Analyse Ihrer Angebote: Führen Sie eine Bestandsaufnahme durch, um Barrieren in Ihren Produkten und Dienstleistungen zu identifizieren.
Mitarbeiter schulen: Fördern Sie durch gezielte Schulungen das Bewusstsein für Barrierefreiheit in Ihrem Team.
Externe Hilfe nutzen: Ziehen Sie spezialisierte Agenturen hinzu und stellen Sie somit sicher, dass Ihre Maßnahmen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen.
Standards umsetzen: Orientieren Sie sich an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) und der EN 301 549, die konkrete Anforderungen an die Barrierefreiheit festlegt. Weitere Infos dazu finden Sie im nächsten Abschnitt.
Was sind die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG)?
Die WCAG sind internationale Richtlinien des World Wide Web Consortiums (W3C) zur barrierefreien Gestaltung von Internetangeboten. Sie definieren mehrstufige Erfolgskriterien und helfen Unternehmen dabei, ihre digitalen Produkte für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Zu den betroffenen Personengruppen gehören:
- Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und Blindheit
- Menschen mit Hörbeeinträchtigungen und Gehörlosigkeit
- Menschen mit motorischen oder kognitiven Beeinträchtigungen
- Menschen mit Photosensibilität oder Mehrfachbeeinträchtigungen
Dabei basieren die WCAG auf vier grundlegenden Prinzipien:
- Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen für alle Nutzer wahrnehmbar sein.
- Bedienbarkeit: Alle Funktionen und Navigationselemente müssen nutzbar sein.
- Verständlichkeit: Informationen und Bedienung müssen einfach verständlich sein.
- Robustheit: Inhalte müssen von verschiedenen Technologien zuverlässig interpretiert werden können.
Die EN 301 549 basiert größtenteils auf den WCAG 2.1 und wird durch das BFSG ab 2025 auch für die Privatwirtschaft verpflichtend. Sie ergänzt die WCAG um Anforderungen für komplexe Software und Webanwendungen.
In fünf Schritten zu barrierefreien Produkten und Dienstleistungen
Die Umsetzung von Barrierefreiheit mag herausfordernd erscheinen, doch mit einem klaren Plan wird sie machbar. Sie können sich dabei an diesen Schritten orientieren:
- Barrieren erkennen: Nutzen Sie Tools wie Google Lighthouse, AXE oder WAVE, um Schwachstellen zu analysieren. Diese Programme identifizieren unter anderem Farbkontraste, fehlende Alternativtexte oder Navigationsprobleme.
- Standards anwenden: Setzen Sie die Vorgaben der WCAG und EN 301 549 schrittweise um. Für Websites bedeutet das beispielsweise die Kompatibilität mit Screenreadern, Tastatursteuerung und ausreichende Farbkontraste.
- Reale Tests durchführen: Binden Sie Menschen mit Behinderungen aktiv in den Testprozess ein. Ihr Feedback ist entscheidend, um reale Barrieren zu identifizieren.
- Technologie nutzen: Verwenden Sie moderne Lösungen wie KI-gestützte Screenreader oder Tools zur Live-Transkription, um Barrierefreiheit effizient umzusetzen.
- Schulungen anbieten: Sensibilisieren Sie Ihre Mitarbeitenden für Barrierefreiheit, damit sie langfristig in Ihren Prozessen verankert wird.
Warum auch Verlage jetzt handeln müssen
Für Verlage bringt das BFSG spezifische Anforderungen mit sich:
- E-Books: Diese müssen vollständig mit Screenreadern kompatibel sein. Der EPUB-3-Standard bietet hier eine solide Grundlage.
- Alternative Formate: Hörbücher und Texte sollten in einer Brailleschrift angeboten werden.
- Webseiten: Diese müssen den Standards der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) entsprechen.
Ein erfolgreiches Beispiel ist der Verlag „Inklusion Lesen“, der 2022 eine Plattform für barrierefreie E-Books eingeführt hat. Dank der engen Zusammenarbeit mit Testgruppen aus blinden und sehbehinderten Menschen konnte der Verlag seine Angebote entsprechend optimieren. Das Ergebnis war nichts weniger als ein sprunghafter Anstieg der Nutzerzahlen und ein Innovationspreis für digitale Inklusion!
Barrierefreiheit: Mehr als nur eine rechtliche Vorgabe
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz stellt gleichermaßen eine gesetzliche Verpflichtung, eine dringende Notwendigkeit zur Chancengleichheit und, für Unternehmen, eine Investition in deren Zukunft dar. Denn durch die Umsetzung des BFSG profitieren Millionen von Menschen mit Behinderungen von barrierefreien Angeboten und können sich zu loyalen Kunden entwickeln. Wenn Sie also als Unternehmen jetzt handeln, erschließen Sie neue Zielgruppen und stärken Ihr Image als innovativer und inklusiver Anbieter.
Nutzen Sie die verbleibende Zeit bis Mitte 2025, um Ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten und treffen Sie damit eine Entscheidung, die nicht nur Ihr Unternehmen voranbringt, sondern die gesamte Gesellschaft bereichert.
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