Das Ende des freien Internets?

Das Ende des freien Internets?

Das Ende des freien Internets? – Artikel 13 der EU-Urheberrechtsrichtlinie ist beschlossen

Es wird viel über die EU-Urheberrechtsrichtlinie diskutiert – niemand weiß was wirklich drin steht. Wir haben den besonders umstritten Artikel 13 unter die Lupe genommen und erklären hier, was er enthält und wo die Fallstricke liegen.

Wohl noch nie hat ein Gesetzgebungsverfahren die Netzgemeinde so bewegt wie der Gesetzgebungsprozess rund um die europäische Urheberrechtsrichtlinie. Mit einer Verspätung von zwei Monaten sind nun die Trilogverhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament beendet. Am 13. Februar 2019 wurde über die endgültige Fassung der Richtlinie abgestimmt. Über das Pro und Contra sowie die Positionen der Interessenvertreter berichteten wir bereits im Dezember.

Im April muss das EU-Parlament letztmalig über die Richtlinie abstimmen. Hier könnte sich nochmal etwas ändern, zumindest die Gegner der Richtlinie machen zur Zeit mobil, um auf diese letzte Abstimmung noch einmal einzuwirken.

Anschließend verbleiben den einzelnen Mitgliedstaaten zwei Jahre, um die in der Richtlinie gesetzen Regelungen in nationale Gesetze umzusetzen. Hierbei haben die Länder einigen Handlungsspielraum. Die Auswirkungen der Richtlinie im Detail sind daher noch nicht abschätzbar.

Wen betrifft Artikel 13 überhaupt?

Von der Richtlinie sind Anbieter von Diensten zur gemeinsamen Nutzung von Online-Inhalten betroffen, deren Hauptzweck darin besteht, dass von den Nutzern eine große Anzahl von urheberrechtlich geschützten Werke hochgeladen wird. Das sind Dienste wie Youtube oder Facebook.

Hier werden voraussichtlich viele Anbieter und Websites gar nicht erst von der Richtlinie betroffen sein, sofern der Hauptzweck nicht das Hochladen von Inhalten ist. Non-Profit Online Enzyklopädien (z.B Wikipedia), Non-Profit-Bibliotheken, Open-Source-Software, Online-Marktplätze und Business-to-Business-Cloud-Services sowie Cloud Services für den privaten Gebrauch sind direkt ausgenommen.

Start-Ups die diesen Hauptzweck erfüllen, sind war betroffen, werden aber privilegiert behandelt. Dazu unten mehr. Sicher betroffen sind Fotodatenbanken, kommerzielle Foren und soziale Netzwerke.

Die Haftung für illegale Inhalte wird auf den Dienstanbieter verschoben

Schon im Moment, in dem ein Nutzer einen Inhalt auf einer Plattform hochlädt, liegt eine öffentliche Zugänglichmachung durch den Dienst selbst vor. Das war bis jetzt umstritten und bisher vertrat der Europäische Gerichtshof eine andere Ansicht. Da der Nutzer das Hochladen veranlasse, sei auch nur der Nutzer für die öffentliche Zugänglichmachung verantwortlich, so das Argument des EUGH. Sollte der Inhalt bereits veröffentlicht worden sein, – also nur eine Kopie hochgeladen werden – lag nach dieser Auffassung auch keine öffentliche Zugänglichmachung durch den Nutzer vor. Die Dienstanbieter waren mit der bisherigen Rechtsprechung somit relativ sicher. Bisher musste der Dienstanbieter illegal auf der Plattform hochgeladene Inhalte erst löschen, wenn er Kenntnis von den illegalen Inhalten hatte. Dieser Streit wird in Zukunft durch Artikel 13 Absatz 1 entschieden. Die Verantwortung liegt fortan direkt beim Dienstanbieter.

Zukünftig sollen die Diensteanbieter Lizenzvereinbarungen mit Rechteinhabern treffen, um eine Genehmigung zur Veröffentlichung der Inhalte zu besitzen. Bisher musste jeder Nutzer, der fremde Inhalte verwendet, selbst Lizenzen von den Rechteinhabern erhalten. So zumindest in der Theorie. In der Praxis wurde dies wohl nur selten getan.

Die Lizenzvereinbarungen zwischen Dienstanbieter und Rechteinhabern sollen die Uploads von kleinen Nutzern, die keine nennenswerten Einnahmen mit ihre Tätigkeit auf der Plattform erzielen, abdecken. Der Hobby-Youtuber oder Micro-Influencer muss demnach dann keine eigenen Lizenzverträge abschließen, das übernimmt sozusagen die Plattform für ihn. Viele berühmte Youtuber, Podcaster oder Influencer benötigen weiterhin eigene Lizenzverträge, wenn sie fremde Inhalte nutzen. Das ist ohne den Artikel 13 auch jetzt schon notwendig.

In der Konsequenz wird man voraussichtlich nicht mehr gegen kleine Nutzer vorgehen können, die illegal Inhalte hochladen. Für die Inhalte der kleinen Nutzer ist die Plattform verantwortlich, die großen Nutzer müssen selbst Lizenzen einholen.

So kommen die Dienstanbieter aus der Haftung

Gibt es keine Genehmigung der Rechteinhaber haften die Plattformbetreiber. Wie diese Lizenzvereinbarungen in der Praxis geschlossen werden sollen ist unklar. Heutzutage ist praktisch jeder Mensch Rechteinhaber, weil er mit seinem Smartphone Bilder und Videos erstellt. Die Plattformen können unmöglich mit allen Menschen Lizenzvereinbarungen schließen. Auch stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Lizenzvereinbarungen getroffen werden müssen.

Die Haftung der Plattformbetreiber kann ausgeschlossen werden, wenn Sie nachweisen können, dass sie alle Anstrengungen unternommen haben, um eine Genehmigung des Rechteinhabers zu erhalten. Auch hier ist unklar, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll.

Auch ist es möglich die Haftung auszuschließen, wenn der Plattformbetreiber alle Anstrengungen unternommen hat, um eine Veröffentlichung der nicht lizenzierten Inhalte zu verhindern. Hinter dieser Bedingung verstecken sich die vielfach kritisierten Upload-Filter, auch wenn die Richtlinie den Begriff nicht verwendet. Das von Youtube verwendete Content ID-Verfahren ist vergleichbar mit einem solchen Upload-Filter.

Hierfür müssen die Rechteinhaber alle ihre Inhalte der Plattform melden – auch die Inhalte, die nicht mit der Plattform lizenziert wurden, damit die Plattform überhaupt erkennen kann dass sie diese Inhalte gar nicht nutzen darf.

Die dritte Möglichkeit, um aus der Haftung zu kommen, besteht für die Plattformbetreiber darin, dass illegale Inhalte, die trotz allen Lizenzvereinbarungen und Upload-Filtern auf der Plattform gelandet sind, unverzüglich nach einer Mitteilung durch den Rechteinhaber zu löschen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass auch für die Zukunft sichergestellt wird, dass derselbe Rechtsverstoß nicht erneut vorkommt.

Wie umfangreich oder teuer diese Maßnahmen für die Plattformbetreiber sein müssen hängt davon ab, in welchem Verhältnis sie zu Größe und Reichweite der Plattform stehen. Eine kleine Plattform muss nicht die technische und rechtliche Infrastruktur auffahren wie beispielsweise Youtube.

Gänzlich ausgenommen von den Filtermechanismen sind, wie oben bereits angedeutet, Start-Ups, die nicht älter als 3 Jahre in der EU am Markt sind und die nicht mehr als 10 Millionen Euro Umsatz machen. Diese müssen sich lediglich bemühen, die nötigen Lizenzen abzuschließen.

Ab 5 Millionen Nutzern steigen die Anforderungen zur Abwendung von Rechtsverstößen. Nachdem ein illegaler Inhalt einmal auf der Plattform aufgetaucht ist, muss unterbunden werden, dass dies wieder geschieht. Diese Regelung ist nicht neu und wird heute schon vom Bundesgerichtshof gefordert.

Im Ergebnis ergeben sich einige Möglichkeiten für die Plattformbetreiber mit der veränderten Haftungslage umzugehen.

Karikaturen, Parodien, Zitate

Besonders kritisiert wurde, dass Karikaturen, Parodien und Zitate von den technischen Filtermechanismen nicht erkannt werden und somit ein unrechtmäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit entsteht. Bekannte Beispiele sind Memes, die Ausschnitte aus Spielfilmen in einem humorvollem Kontext darstellen. Die Richtlinie verlangt, dass Karikaturen, Parodien und Zitate weiterhin möglich sein müssen. Wie das sichergestellt werden soll, bleibt ebenfalls offen.

Weitere Anforderungen

Eine weitere Anforderung des Artikel 13 ist, dass sich aus der Anwendung der Richtlinie keine Überwachung der Nutzer ergeben darf oder Personen identifiziert werden können.

Weiterhin müssen wirksame und schnelle Beschwerdemöglichkeiten von den Plattformbetreibern bereitgehalten werden um Streitigkeiten zu klären. Streitigkeiten sollen auch außergerichtlich geklärt werden können. Hier müssen die nationalen Gesetzgeber eventuell entsprechende Rechtsbehelfe schaffen.

Wenn Inhalte wieder gelöscht werden sollen, weil Rechteinhaber dies fordern, muss dies mit einer menschlichen Überprüfung geschehen. Hierfür müssen die Dienstanbieter genügend Personal bereit halten.

Unklarheiten bei der Umsetzung

Die große Frage ist nach wie vor, wie,wann und mit wem Lizenzen abgeschlossen werden sollen. Dazu sagt die Richtlinie nichts. Das mag mit den großen Verlagen, Labels und Verwertungsgesellschaften relativ einfach sein. Hier können die Plattformbetreiber mit nur wenigen Verträgen viele Lizenzen abschließen. Im digitalen Zeitalter, in dem jeder Mensch ohne große Hürden Urheber ist, wird es spannend wie die Plattformbetreiber diese Lizenzpflichten in der Praxis umsetzen.

Neben all der unbegründeten Weltuntergangsstimmung rund im die Richtlinie ist dies wohl das größte Manko der Richtlinie: Sie verlangt hohe Anforderungen von den Plattformbetreibern, verschweigt aber gänzlich wie diese in der Praxis erreicht werden. Zumindest verspricht die Richtlinie schon jetzt, dass die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den Dienstanbietern, Rechteinhaber, Nutzerverbänden und Interessengruppen Leitlinien zur Umsetzung heraus gibt.

Für die Umsetzung in der Praxis werden die IT- und Rechtsabteilungen der Dienstanbieter jedoch einiges zu leisten haben. Zuerst sind die nationalen Gesetzgeber im Zugzwang aus den abstrakten Anforderungen der EU-Richtlinie konkrete Gesetze zu machen, die hoffentlich mehr Informationen zur Umsetzung enthalten.

Europäisches Urheberrecht

Europäisches Urheberrecht

Kinder auf deutschen Schulhöfen klagen lauthals, dass es youtube 2019 nicht mehr geben wird.

Europäisches Urheberrecht

von Uplaodfiltern, Linksteuern, Lobbyschlachten und politischer Debatte im digitalen Zeitalter

Nach einer hitzigen medienwirksamen Debatte im September 2018 verabschiedete das EU-Parlament den Richtlinienentwurf  “Über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“. Noch ist die Richtlinie nicht abgeschlossen und das Thema polarisiert weiterhin stark.

Befürworter der geplanten Regelungen sind vor allem auf der Seite der Rechteinhaber zu finden, zum Beispiel den Verwertungsgesellschaften und Verlagen wie Axel Springer. Auf der anderen Seite stehen Seite vor allem Verbraucherschützer, Bürgerrechtsorganisationen und die Internetwirtschaft wie Youtube, Google und Facebook.

Der aktuelle Stand

Im September 2018 beschloss das EU-Parlament mit knapper Mehrheit den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt. Die Abstimmung war ein zweiter Anlauf, nachdem ein erster Entwurf Anfang Juli gescheitert war.

Nach der Abstimmung  verhandeln Mitglieder des EU-Parlaments gemeinsam mit der EU-Kommission und dem Rat der Mitgliedsstaaten im sogenannten Trilog über die endgültige Fassung der Richtlinie, im Detail stehen auch noch Entscheidungen aus. Hier sind jedoch keine großen Verwerfungen mehr zu erwarten. Dennoch sprechen sich jetzt schon einige Mitgliedstaaten gegen die Richtlinie aus oder sind noch unentschlossen. Wenn auch sehr unwahrscheinlich, es besteht noch immer die Chance, dass die Richtlinie kippt, was aber eher unwahrscheinlich ist.

Ein Ergebnis wird für den 13. Dezember erwartet. Die Richtlinie soll noch in der aktuellen Legislaturperiode des EU-Parlaments bis Mitte 2019 endgültig fertiggestellt und verabschiedet werden.¹

Beschlossene EU-Richtlinien müssen von den Mitgliedstaaten noch in eigenen staatliche Gesetzen umgesetzt werden, bevor sie volle Wirkung entfalten.

Die kritischen Punkte

Die Richtlinie ist vor allem unter den Stichworten “Uploadfilter” und “Linksteuer” in den Medien bekannt geworden. Diese Begriffe benutzen vor allem die Kritiker, um ihre Kritik mit einfachen Begriffen greifbar zu machen. Tatsächlich ist von Uploadfiltern und Linksteuer in der Richtlinie nichts zu lesen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Regelungen, die hinter den Kampfbegriffen stecken, blieb bisher aus.

Als “Uploadfilter” oder “Zensurmaschine” wurde Artikel 13 des Entwurfes verstanden. Nach Artikel 13 sollen Internetunternehmen für von Nutzern illegal hochgeladene Inhalte unmittelbar haften. Bisher galt, dass die Internetunternehmen erst ab Kenntnis über den bei Ihnen illegal gehosteten Inhalt haften. In der Konsequenz musste das Internetunternehmen nach aktueller Rechtslage bisher erst ab der Kenntnis den illegalen Inhalt löschen. Unklar ist, ob zukünftig das Internetunternehmen die Chance erhält, doch noch aus der Haftung zu kommen, zum Beispiel durch den Einsatz von technischen und organisatorischen Methoden, die illegale Inhalte verhindern sollen.

Ein technischer Inhaltserkennungsdienst könnte in Zukunft eingesetzt werden, um direkt nach dem Upload den Inhalt zu überprüfen und festzustellen, ob das Internetunternehmen eine Lizenz vom echten Rechteinhaber besitzt. Sollte so eine Lizenz nicht vorhanden sein, müsste der Inhalt sofort gelöscht werden, ohne dass er überhaupt öffentlich wird. Dieses Vorgehen wird als “Uploadfilter” bezeichnet.

Ob ein solcher “Uploadfilter” verpflichtend ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Er könnte allerdings in der Praxis nötig sein, damit das Unternehmen Inhalte selbsttätig Inhalte filtert um zu überprüfen ob eine entsprechende Lizenz zur Nutzung vorhanden ist. Sollte das Internetunternehmen nicht weitreichende Lizenzen abschließen, müssen alle Inhalte ohne Lizenz durch den Filter gelöscht werden, bevor sie überhaupt auf der Plattform des Unternehmens veröffentlicht werden.

Daran schließt sich die entscheidende Frage an, nach welchen Kriterien Inhalte analysiert und gefiltert werden sollen.

Eine mögliche Gefahr ist hier, dass auch Inhalte vom Erkennungsdienst herausgefiltert werden, die eigentlich gar nicht illegal sind. Dies könnte beispielsweise bei Zitaten passieren, die nach § 51 Urheberrechtsgesetz ohne Lizenz genutzt werden können. Auch Parodien wie Memes, die nach § 24 Urheberrechtsgesetz als freie Benutzung gestattet sind, könnten vom Erkennungsdienst fälschlicherweise herausgefiltert werden, weil der dahinter stehende Algorithmus die feinen Nuancen einer Parodie nicht vom Original unterscheiden kann. Dieses technische Risiko wird von den Kritikern als Einschnitt in die Kunst- und Meinungsfreiheit gesehen. Bisher waren jedoch vor allem die Rechteinhaber im Nachteil. Bis ein Internetunternehmen von den illegalen Inhalten erfährt, werden bereits Downloads, Views und Klicks generiert, woraus das Internetunternehmen durch Traffic, Abonnements und Werbung wirtschaftliche Vorteile erhält.

Wie in der Praxis mit den Millionen von kleinen Rechteinhabern, die nicht in großen Verwertungsgesellschaften, Labels und Verlagen organisiert sind, Lizenzen geschlossen werden ist noch unklar.

Einen Erkennungsdienst für Inhalte nutzt Youtube unter dem Namen Content ID übrigens schon seit Jahren. Hiermit werden Inhalte auf Youtube identifiziert, die Rechteinhaber dort registriert haben. Sollte ein Nutzer einen registrierten Inhalt hochladen, kann der Rechteinhaber bestimmen, was mit dem Inhalt passieren soll. Er kann ihn beispielsweise löschen, freischalten oder monetarisieren lassen also sich an den Werbeeinnahmen, die im Rahmen dieses Inhaltes von Youtube erwirtschaftet werden, beteiligen.

Linksteuer

Wenn ein Internetdienst zusätzlich mit einem Link Textauszüge,  sogenannte Snippets oder Anleser, zeigt, soll dieser in Zukunft nach Artikel 11 der Richtlinie dafür Lizenzgebühren an die Rechteinhaber zahlen. Dieses Leistungsschutzrecht hat in der öffentlichen Debatte den Namen “Linksteuer” erhalten. Der Name ist verwirrend, denn weder ist hier eine Steuer fällig, noch muss für den Link an sich bezahlt werden. Es geht darum, ob für Ausschnitte eines Textes eine Lizenzgebühr fällig ist, wenn mit einem Link auf diesen Text verwiesen wird.

Die Kritiker der Richtlinie vergleichen Anleser mit den Titelblättern von Zeitungen in einem Kiosk. Demnach müssten auch Kioskbetreiber dafür zahlen, wenn Passanten am Kiosk vorbei gehen. Anleser sind Werbung, keine Inhalte, so die Kritiker.

Die Regelung des Richtlinienentwurfs zielt vor allem auf Nachrichten-Aggregatoren wie Google News. In Deutschland und Spanien wurde ein solches Leistungsschutzrecht bereits eingeführt. In Spanien führte dies dazu, dass Google den News-Dienst eingestellt hat. In Deutschland gewährten nahezu alle Rechteinhaber Google eine kostenlose Lizenz, weil Google sonst die Inhalte nicht mehr angezeigt hätte und somit keine Klicks mehr über Google News generiert worden wären. Nun besteht die Hoffnung, dass mithilfe einer EU-weiten Regelung der Internetgigant Google in die Knie gezwungen wird, weil nun die Verhandlungsmacht der Verlage gewachsen ist.

Die Lobbyschlacht

Das Argument, dass die Richtlinie oder das Nichtbestehen eben dieser nur dem Interesse von mächtigen Unternehmen zu Gute komme und nicht der Gesellschaft dient, wird merkwürdigerweise von beiden Seiten vorgebracht. Die Kritiker sehen die großen Verlage wie Axel Springer durch die Richtlinie bevorteilt, die Befürworter sehen Google, Facebook und Youtube im Vorteil, sollte die Richtlinie nicht zustande kommen. Tatsächlich stehen sich auf beiden Seiten mehr oder weniger mächtige wirtschaftliche Akteure gegenüber, die von der Richtlinie unterschiedlich betroffen wären. Auf der Seite der Gegner steht die Internetwirtschaft, also Plattformbetreiber, Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Webhoster, deren Geschäftsmodelle weitgehend darauf aufbauen, fremde Inhalte auf ihren Plattformen zu vermarkten. Die andere Seite sind die Rechteinhaber, also die Verleger, Produzenten, Künstler und Kreativen, die Inhalte erstellen, die heutzutage auf  Internetanbieter angewiesen sind, diese Inhalte zu bewerben oder in Partnerschaft zu monetarisieren.

Im Zuge des Richtlinienentwurfs kam es zu einer regelrechten Lobbyschlacht zwischen den betroffenen Akteuren. In einem Spannungsfeld zwischen den Gegnern stehen die Nutzer und Privatleute. Auf der einen Seite wollen die Nutzer günstige und möglichst einfach zugängliche Inhalte. Auf der anderen Seite muss für dieses Angebot ein stabiler Markt bestehen, in welchem den Kreativen finanzielle Mittel zur Erstellung von hochwertigen Inhalten zur Verfügung stehen.

Die Lobbyarbeit der Rechteinhaber und Internetunternehmen zielt darauf ab, die Nutzer auf ihre jeweilige Seite zu ziehen und somit die Entscheidung der Parlamentarier zu beeinflussen. Die Rechteinhaber brachten Themen wie die Eindämmung des Internetkapitalismus, der Schutz der finanziell unabhängigen Presse und des Qualitätsjournalismus sowie die Eindämmung von Fake News auf die Tagesordnung. Die Gegenseite brachte Begriffe wie die Gefahr der Netzneutralität und Meinungsfreiheit, den Medienwandel und, wie schon oben genannt, die Uplodfilter und die Linksteuer ins Spiel. Dass es diese beiden Begriffe so in den Fokus der Debatte geschafft haben, zeigt, dass die Seite der Richtlinengegner zumindest in Punkto Öffentlichkeitsarbeit die Nase vorn hat.

Youtube fällt mit widersprüchlichen Aussagen auf

Obwohl Youtube schon Vorreiter in Sachen Inhaltserkennung ist hat sich Susan Wojcicki, die Chefin von Youtube, an die „Creators“ von Inhalten auf Youtube gewand und sich gegen die Richtlinie ausgesprochen. Durch die Richtlinie sei die „beeindruckende Kreativwirtschaft“ gefährdet und die Richtlinie bedeute eine “klare Bedrohung für euren Lebensunterhalt“.² Tatsächlich hat die Richtlinie das Ziel die Kreativen, die „Creators“, zu schützen und die Internetgiganten zu fairen Lizenzen zu bewegen. Wojcicki verdreht hier Ursache und Wirkung. In der Vergangenheit ist Youtube bereits negativ aufgefallen weil sich das Unternehmen über Jahre nicht mit der GEMA auf faire Lizenzen für Musik einigen konnte. Dies führte zu den bekannten Sperrtafeln für Inhalte, bei welchen es Youtube so aussehen ließ, als würde die GEMA die Videos sperren lassen. Jedoch war es Youtube selbst, welche die Videos aus Angst sperrten, damit die Rechteinhaber gegen die lizenzlose Nutzung nicht vorgehen.

Der Meinungskampf mit Bits und Bytes

Nicht nur verbal wurde um die Richtlinie gerungen. Auch auf technischer Seite wurde der Kampf fortgesetzt. Von Seiten der Gegner der Richtlinie sind  mit Hilfe von Bots und DDoS-Attacken angeblich vor der Abstimmung schätzungsweise sechs Millionen E-Mails an EU-Abgeordnete versendet worden,die vorspielen sollten, dass die Nachrichten von besorgten Bürger stammen. Hinter einem der Initiatoren dieses Massenmailings steht die Organisation saveyourinterent.eu, die über mehrere Ebenen mit der amerikanischen Industrievereinigung Computer & Communications Industry Organization verbunden ist, der Amazon, Facebook, Google und Uber angehören. In den sozialen Medien wurde die botgesteuerte Meinungsmache auch fortgesetzt und es sollen Gesprächsleitfäden für Telefonate mit Abgeordneten im Umlauf gewesen sein. Sogar von Morddrohungen gegen Abgeordnete wird berichtet, tatsächlich sind einige Abgeordnete aus Angst nicht zur Abstimmung erschienen.³

Der Untergang des Internets

Von den Kritikern der Richtlinie wird wortwörtlich der Untergang des Internets beschoren. Das Internet, wie wir es heute kennen, gebe es mit der Richtlinie nicht mehr.

Die Netzneutralität sei gefährdet, weil das freie Teilen von Inhalten verhindert wird und hier vor allem Blogger, kleinere Newsseiten und sogar private Nutzer treffen wird, so die Kritiker. In der letzten Fassung des Richtlinienentwurfs wurden Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen explizit aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen. Hier waren die Kritiker erfolgreich. Ob das Teilen von Inhalten ohne Lizenz auf den großen Plattformen wie Facebook, Google und Co. tatsächlich eine Bedingung für die vielbeschworene Netzneutralität ist, ist zumindest fragwürdig.

Die politische Debatte

Der Konsum von Medieninhalten hat sich durch das Internet radikal verändert. Ob sich damit auch das Recht ändern muss, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Die Kritiker der Richtlinie stellen fest, dass das Urheberrecht  nicht schuld sei am Medienwandel. Ist es daher sinnvoll, möglicherweise antiquierte Geschäftsmodelle unter besonderen Schutz zu stellen und somit moderne Technologien und Geschäftsmodelle auszubremsen?

Auch wenn beide Seiten in der Debatte einfache Antworten mit simplen Kampfbegriffen und bedeutungsschwangeren Diskussionen, um Meinungsfreiheit und Internetkapitalismus geben, wird diese Frage nicht einfach zu beantworten sein. Für die Meinungsfreiheit einzustehen und die Schwachen zu schützen, reklamieren interessanterweise beide Seiten für sich.

Die Richtlinie könnte dazu führen, dass die Profiteure des Medienwandels etwas mehr als bisher oder überhaupt erst einmal Geld an die Urheber zahlen müssen. Aber dies ist ungewiss, weil die Kreativwirtschaft von den Internetgiganten abhängig  ist, wie das Scheitern des Leistungsschutzrechts für News-Anleser in Deutschland und Spanien zeigt. Die Richtlinie kann das Gefüge der Kreativ- und Internetwirtschaft jedoch nicht auseinanderreißen. Dafür ist sie im Anwendungsfall zu speziell. Sie trifft nur große gewinnorientierte Internetunternehmen. Wo die Grenzen für Größe und Gewinnorientierung liegen, ist allerdings noch nicht entschieden.

In dieser, in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geprägten Debatte, das große Faß rund um Meinungsfreiheit, Netzneutralität und Grundrechte aufzumachen schießt weit über das Ziel hinaus, eignet sich allerdings hervorragend um mit populistischer Meinungsmache die an einfachen und emotionalen Antworten interessierten Teile der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen.

_____________________________________________________________________________________________
¹ https://www.urheber.info/aktuelles/2018-10-29_spekulationen-rund-um-das-zweite-trilog-treffen
²
https://youtube-creators.googleblog.com/2018/10/a-final-update-on-our-priorities-for.html
³ http://einspruch.faz.net/recht-des-tages/2018-08-18/b150cb44b8b4b2a08e087bf54978cd56/?GEPC=s5

 

DSGVO Abmahnungen sind möglich

DSGVO Abmahnungen sind möglich

DSGVO Abmahnungen sind möglich

Ein Urteil des Oberlandesgericht Hamburg bestätigt, dass bei Datenschutzverstößen Abmahnungen durch Konkurrenten möglich sind.

 

Eins der vielen umstrittenen Probleme der EU Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) war bis jetzt die Frage, ob Verstöße gegen die DSGVO Abmahnungen nach sich ziehen können.

Bereits in Art. 82 DSGVO ist ein Recht auf Schadenersatz für betroffene Personen geregelt. Hinzu kommen noch Bußgelder, die nationale Aufsichtsbehörden gegenüber Unternehmen verhängen können. Die Bußgelder reichen bis zu 20 Millionen Euro oder bis zu 4 % des weltweit erzielten Jahresumsatzes. Als eine weitere Gefahr stehen die Abmahnungen durch Konkurrenzunternehmen im Raum.

Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) können Abmahnungen gegen Konkurrenten erhoben werden, wenn sie  sich einen Wettbewerbsvorteil sichern, indem sie sich nicht an die datenschutzrechtlichen Vorgaben halten. Als Argument hierfür wird angeführt, dass ein Unternehmen, dass den Datenschutz nicht ernst nimmt, Kosten und Aufwände spart, die einem rechtschaffenen Konkurrenten entstehen.

Auch können durch mangelhaften Datenschutz die Kunden eines Unternehmens in die Irre geführt werden und deshalb Verträge mit diesem Unternehmen abschließen, die dem rechtschaffenen Konkurrenten somit entgehen würden.

Das erste Urteil einer höheren Instanz

Bisher waren sich die Gerichte über diese Frage nicht einig. Das Landgericht Würzburg sah eine Abmahnfähigkeit aufgrund der DSGVO gegeben, das Landgericht Bochum war anderer Meinung. Auch die EU-Justizkommissarin Vera Jourova verneinte die Anwendbarkeit der DSGVO für Dritte. Nur betroffene Personen sollen Schutz durch die DSGVO erhalten.

In einer Entscheidung des Oberlandesgericht Hamburg (Urt. v. 25.10.2018, Az. 3 U 66/17) wurde nun bejaht, dass die Regelungen der DSGVO sogenannte Marktverhaltensregeln sind. Eine Abmahnung aufgrund unlauteren Wettbewerbs ist daher möglich.

Begründet wird diese Entscheidung damit, dass die in der DSGVO vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten nicht abschließend seien und weitere Sanktionsmöglichkeiten zum Schutz Dritter hinzu treten können – wie zum Beispiel Abmahnungen von Wettbewerbern.

Im durch das Oberlandesgericht Hamburg zu entscheidenden Fall wurden in erster Instanz übrigens beide Unternehmen wegen Verstößen gegen das Datenschutzrecht verurteilt. Das abgemahnte Unternehmen entdeckte bei dem anderen Unternehmen ebenfalls Verstöße gegen das Datenschutzrecht und erhob Widerklage. Das Datenschutzrecht kann schnell zu einem zweischneidigen Schwert werden, denn nur die wenigsten Unternehmen sind tadellos in Sachen Datenschutz aufgestellt.

Fazit

Wettbewerbsrechtliche Abmahnungen stellen ein neues Risiko für Unternehmen dar. Unternehmen, die ihre Hausaufgaben in Sachen Datenschutz bis jetzt nicht erledigt haben, sollten dies dringend nachholen. Sanktionen durch Abmahnungen werden in Zukunft sicherlich öfter verhängt. Die Konkurrenz schläft bekanntlich nie.

Dank DSGVO Klingelschilder bald ohne Namen?

Dank DSGVO Klingelschilder bald ohne Namen?

Dank DSGVO Klingelschilder bald ohne Namen?

Es vergeht keine Woche ohne neue Schreckensmeldungen zur DSGVO in den Gazetten und sozialen Medien. Die neueste Hiobsbotschaft lautet: “Deutschland droht ein Klingelschild-Chaos“.¹

Auslöser war die Beschwerde eines Mieters in Wien. Er sah seine Privatsphäre nicht ausreichend geschützt, weil sein Name auf dem Klingelschild stehe. Die kommunale Hausverwaltung „Wiener Wohnen“ ließ die Beschwerde prüfen und die zuständige Magistratsabteilung der Stadt Wien stellte fest, dass hier tatsächlich eine Verletzung der Privatsphäre vorliege. Nun sollen bei 220.000 Mietwohnungen die Namen auf dem Klingelschild entfernt und durch Nummern ersetzt werden. Wer doch seinen Namen auf dem Klingelschild haben möchte, könne ihn selbst aufkleben.²

Weiter ging es nur wenige Tage später in Deutschland. Der Eigentümerverband „Haus & Grund“ empfahl seinen ca. 900.000 Mitgliedern ebenso zu verfahren und die Namen gegen Nummern auszutauschen.³

Wird hier wieder unberechtigte Panik verbreitet oder ist etwas dran an dieser Forderung?

Sind Klingelschilder ein Dateisystem?

Wie immer beim Thema Datenschutz ist die Antwort nicht ganz einfach: Erst einmal gilt die DSGVO nach Art. 2 Abs. 1 DSGVO nicht nur für automatisierte elektronische Datenverarbeitung. Auch die guten alten Akten in Papierform fallen unter das Gesetz. Damit die physische, nicht automatisierte Datenverarbeitung auch wirklich unter die Anwendung der DSGVO fällt, müssen die personenbezogenen Daten zusätzlich auf einem Dateisystem gespeichert sein. Die Türschilder müssten also ein Dateisystem sein. Was nach der DSGVO unter einem Dateisystem zu verstehen ist, erfahren wir in Art. 4 Nr. 6 DSGVO. Da heißt es: “Ein Dateisystem ist jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen [sic!] Gesichtspunkten geordnet geführt wird.”

Relevant für unsere Frage sind die Merkmale einer „strukturierten Sammlung“ und ob Daten „nach bestimmten Kriterien zugänglich sind“ nach Art. 4 Nr. 6 DSGVO . Hier braucht es viel Fantasie Türschildern diese Merkmale zuzuordnen.

Für eine strukturierte Sammlung müssen die Daten „nach bestimmten Kriterien zugänglich sein“. Das Ziel der DSGVO ist es, personenbezogene Daten und damit die betroffenen Personen vor einer missbräuchlichen Verwendung zu schützen. Die Gefahr eines Datenmissbrauchs ist bei Massenverarbeitung besonders hoch. Um Daten in der Masse zu verarbeiten, braucht es strukturierte Sammlungen, die nach bestimmten Kriterien zugänglich gemacht werden. Selbst wenn die Türschilder alphabetisch oder sonst irgendwie sortiert sind, sind sie nicht soweit “zugänglich, dass Sie einfach von der Tür aus verarbeitet werden” können. Im Ergebnis sind Türschilder keine automatisierte Verarbeitung oder Dateisysteme.

Zumindest der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz Dr. Lutz Hasse sieht in Klingelschildern ein Dateisystem, sofern für deren Erstellung auf ein ausgelagertes Dateisystem zurückgegriffen wird. Dem ist zuzustimmen, jedoch werden in der Praxis wohl nur große Wohnungsgesellschaften eine solche Datenbank nutzen. Digitale Klingelschilder wären wegen der damit verbundenen automatisierten Datenverarbeitung auch ein Dateisystem im Sinne der DSGVO. Die Fälle, in welchen die DSGVO überhaupt greift, sind demnach eher Ausnahmefälle.

Das sagt die DSGVO

Selbst wenn der Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet ist, dann stehen die Regeln der DSGVO dem wilden Klingelschild-Abschrauben selbst im Weg. Der Vermieter kann sich auf seine so genannten berechtigten Interessen aus Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO berufen, die ihm eine Rechtsgrundlage zur Verarbeitung von personenbezogenen Daten geben. Hier gilt es die Interessen aller Beteiligten abzuwägen. Es ist zumindest ein berechtigtes Interesse des Vermieters beim Mieter im Notfall mal klingeln zu können oder ihm Post zuschicken. Da hilft ein Klingelschild in der Regel weiter. Jeden einzelnen Mieter nur über Nummern zu identifizieren, geht über eine zumutbare Belastung für den durchschnittlichen Vermieter hinaus. Ab einer gewissen Anzahl von Mietern/Vermietungsobjejekten wäre eine automatisierte Datenverarbeitung nötig, die eine entsprechende Rechtsgrundlage in der DSGVO bedürfe. Die meisten Mieter sind mit ihrem Namen auf der  Klingel auch recht zufrieden, da sie so leicht Post und Besuch empfangen können. Das geht natürlich auch ohne Namen an der Tür, doch würde dies erst einmal für den Mieter zu einem Mehraufwand führen, weil er Bekannte und Postzusteller informieren müsste. Pauschal auf Klingelschilder mit Namen zu verzichten, liegt somit nicht im Interesse von Mietern und Vermietern.

Auf jeden Fall kann der Mieter dieser Datenverarbeitung nach Art. 21 Abs. S.1 DSGVO widersprechen, wenn er nicht möchte, dass sein Name am Klingelschild steht.

Fazit

Wenn ein Mieter wirklich nicht will, dass sein Name auf dem Klingelschild steht, wird ein Vermieter ihm das wohl zugestehen müssen. Dies ist aber eine Frage des Mietrechts und nicht der viel gescholtenen DSGVO. Vermieter können also beruhigt die Schraubenzieher im Werkzeugkasten lassen.

Nachtrag: Obwohl von einem Großteil von Datenschützern (wie auch der Autor dieses Beitrags) und selbst von Seiten der EU-Kommission die Meinung vertreten wird, dass Klingelschilder kein Dateisystem sind will “Wiener Wohnen” weiterhin an der Entfernung der Klingelschilder festhalten.
BGH-Urteil: Bitte um Zufriedenheitsbewertung ist Werbung und ohne Möglichkeit zum Widerspruch unzulässig

BGH-Urteil: Bitte um Zufriedenheitsbewertung ist Werbung und ohne Möglichkeit zum Widerspruch unzulässig

BGH-Urteil: Bitte um Zufriedenheitsbewertung ist Werbung und ohne Möglichkeit zum Widerspruch unzulässig

 

Der Bundesgerichtshof hat jüngst über die Klage eines Kunden entschieden, der in einer per E-Mail versendeten Kundenzufriedenheitsbefragung eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen hat. Was war geschehen: Der Kunde bestellte Ware über die Internetplattform „Amazon Marketplace“. Abgewickelt wurde der Verkauf durch Amazon. In der E-Mail mit der Rechnung des Verkäufers war auch die Bitte enthalten, eine Zufriedenheitsbewertung abzugeben und eine gute Bewertung abzugeben. In dieser Bitte sah der Käufer eine unaufgeforderte, unerlaubte Zusendung von Werbung, die in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreifen würde. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Grundrecht, dass so formuliert gar nicht im Grundgesetz steht. Es wurde nachträglich durch Verfassungsrichter aus Art. 2 Abs. 1 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) abgeleitet. Dieses Recht soll einen umfassenden Persönlichkeitsschutz zum Schutz der Sozial-, Privat- und Intimsphäre gewähren. Unter anderem tangiert das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch Gebiete wie Datenschutz und Werbung. Die Vorinstanzen wie das Landgericht Braunschweig hatten zunächst die Klage abgewiesen. Erst der BGH hat  zu Gunsten des Klägers entschieden.

 

Möglichkeit zum Widerspruch muss gegeben sein

Allgemein gilt, dass das Versenden von Werbung per elektronischer Post grundsätzlich ein Eingriff in die Privatsphäre des Empfängers ist und damit in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht eingreift, wenn dies ohne vorherige Einwilligung des Empfängers erfolgt. Eine Ausnahme davon besteht nach § 7 Abs. 3 UWG wenn ein Unternehmer im Zusammenhang mit dem Verkauf seiner Ware oder Dienstleistung die E-Mailadresse des Kundens für  Direktwerbung für eigene, ähnliche Waren oder Dienstleistungen verwendet und der Betroffene dem nicht widersprochen hat. Diese Möglichkeit eines Widerspruchs war jedoch gar nicht erst möglich im vorliegenden Fall. Der Bundesgerichtshof argumentiert, dass es dem Verkäufer zumutbar wäre, dem Käufer die Möglichkeit einzuräumen, dem Versenden von Werbung zu widersprechen, bevor dieser die erste Werbe-E-Mail erhält. Im vorliegenden Fall war dies dem Käufer nicht möglich, weil die Werbung direkt an der Rechnungs-E-Mail hing. Der Verkäufer ist damit rechtswidrig in die Privatsphäre des Käufers eingedrungen.

 

Auch Aufforderungen zu Bewertungen sind Werbung

Die Kundenzufriedenheitsbefragung per E-Mail ist eine Form der Direktwerbung, auch wenn die Befragung zusammen mit der Rechnung in einer E-Mail versendet wird. Werbung ist außer der unmittelbar produktbezogenen Werbung auch die mittelbare Absatzförderung, beispielsweise in Form von Imagewerbung. Eine positive Bewertung durch den Käufer sollte das Image des Verkäufers verbessern. Zusätzlich sollte sich der Käufer wieder mit dem Verkäufer und seinen Produkten auseinander setzen.

 

Was bedeutet das für E-Commerce Anbieter?

Werbe-E-Mails dürfen zwar ohne Einwilligung des Empfängers verschickt werden, wenn bereits geschäftlicher Kontakt bestanden hat, jedoch müssen dem Kunden bei der Erhebung umfangreiche Informationen über die Verwendung der Daten bereitgestellt werden. Außerdem muss dem Kunden die Möglichkeit eingeräumt werden, solchen Werbe-E-Mails widersprechen zu können. Neben diesen werberechtlichen Vorgaben verschärft die DSGVO die Nutzung von Werbe-E-Mails zusätzlich. Es empfiehlt sich für Werbe-E-Mails immer ausdrückliche Einwilligungen einzuholen.

Das Urteil VI ZR 225/17-LG Braunschweig ist auf der Website des Bundesgerichtshofes zu finden (link).

Die DSGVO beim Austausch von  Visitenkarten

Die DSGVO beim Austausch von Visitenkarten

Die DSGVO beim Austausch von  Visitenkarten

 

In den letzten Wochen gingen viele Schreckensmeldungen über die DSGVO durch die Medien und durch die Social-Networks. Eine davon war, dass man auch beim Austausch von Visitenkarten eine schriftliche Einwilligung benötige. Was ist an der Sache dran?

 

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einem Geschäftstermin und tauschen mit den anwesenden Personen Visitenkarten aus. Die Visitenkarten bewahren Sie in Ihrem Portmonee auf und legen sie dann in Ihrem Büro alphabetisch sortiert in einem Visitenkarten-Ordner ab.

 

Braucht man jetzt mit der DSGVO eine Einwilligung zur Datenverarbeitung, wenn man jemanden seine Visitenkarte überreicht?

 

Oder muss man dem Gegenüber zumindest eine Datenschutzerklärung bei der Annahme von Visitenkarten überreichen, auf der über mehreren Seiten beschrieben wird, wie mit den Daten von der Visitenkarte verfahren wird?

 

Das könnte tatsächlich so sein, wenn man die DSGVO ernst nimmt. Unser Mitarbeiter Georg-Theophil Müller, seines Zeichens externer Datenschutzbeauftragter (IHK) und Student der Rechtswissenschaften in Heidelberg, geht der Sache auf den Grund.

 

Anwendungsbereich der DSGVO

 

Erst einmal müsste unser Fall überhaupt vom Anwendungsbereich der DSGVO umfasst sein. Tatsächlich wird in Art. 2 Abs. 1 DSGVO auch die “nicht-automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen” genannt. Daten nach der DSGVO sind demnachnicht nur elektronische Daten, sondern können auch auf Papier, oder wie in unserem Beispiel auf einer Visitenkarte stehen.

 

Weiterhin müssten diese Daten in einem Dateisystem gespeichert werden. Hier käme schon das Portmonee als “Datenspeicher” in Betracht. Dem Portmonee fehlt es sicherlich an der Eigenschaft einer systematischen Ablage von Visitenkarten. Der alphabetisch sortierte Visitenkarten-Ordner im Büro erfüllt diesen Anspruch aber mit Sicherheit. Das gleiche gilt übrigens auch für Mitarbeiterakten, die in Papierform alphabetisch oder in anderer Form systematisch sortiert sind.

 

Auch müssten die Visitenkarten gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. c DSGVO nicht ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten genutzt werden. Wenn Daten nur im privaten Umfeld genutzt werden, interessiert uns die DSGVO erst gar nicht.

 

In unserem Beispiel werden die Visitenkarten auf einem Geschäftstermin ausgetauscht. In der Regel werden Visitenkarten geschäftlich genutzt. Wir sind also voll drin im Anwendungsbereich der DSGVO.

 

Rechtmäßigkeit der Verarbeitung

 

Um überhaupt Daten verarbeiten zu können, muss nach der DSGVO eine Rechtsgrundlage bestehen. Die DSGVO verbietet erst einmal jede Verarbeitung von Daten, erlaubt sie aber unter bestimmten Bedingungen. Unter Juristen nennt man das auch ein „Verbot mit Erlaubnistatbestand”.

 

Im Art. 6 Abs. 1 DSGVO sind gleich mehrere solche Erlaubnistatbestände aufgelistet. Sollte mindestens eine dieser Bedingungen erfüllt sein, dürfen die Visitenkarten alphabetisch im Ordner sortiert werden.

 

Gleich die erste (lit. a) der dort genannten Bedingungen beschäftigt sich mit einer Einwilligung zur Datenverarbeitung, welche die betroffene Person erteilen kann.

 

Welche Bedingungen so eine Einwilligung erfüllen muss, sagt uns Art. 7 DSGVO. Prinzipiell muss so eine Einwilligung nicht schriftlich erfolgen und kann auch mündlich geschlossen werden. Auf jeden Fall muss der Verantwortliche nachweisen können, dass die betroffene Person in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten eingewilligt hat, nach Art. 7 Abs. 1 DSGVO. Das ist schriftlich und mit Unterschrift auf jeden Fall die einfachste Methode. Wenn die Einwilligung aber schriftlich erfolgt, dann muss das nach Art. 7 Abs. 2 DSGVO in verständlicher und leicht zugänglicher Form und in einer klaren und einfachen Sprache erfolgen. Um wirklich sicher zu gehen, bräuchten wir bei unserem Beispiel also doch eine schriftliche Einwilligung mit Unterschrift.

 

Um diese Zettelwirtschaft kommen wir vielleicht doch noch herum, denn in Art. 6 Abs. 1 DSGVO sind ja noch weitere Erlaubnistatbestände aufgelistet. Diese machen uns das Ganze vielleicht einfacher. Hier (lit. b) wird nämlich weiterhin als Rechtsgrundlage die Verarbeitung von Daten zur Erfüllung eines Vertrags oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen genannt. Wir wissen nicht eindeutig, was genau bei unserem Geschäftstermin besprochen wurde. Sicherlich drehte sich das Gespräch  um bestehende oder noch abzuschließende Verträge. Dass wir anschließend mit den Gesprächspartnern in Kontakt bleiben möchten und dafür die Daten der Gesprächspartner brauchen, versteht sich von selbst. Damit hätten wir den genannten Erlaubnistatbestand erfüllt. Eine Einwilligung wäre nicht nötig.

 

In jedem Fall steht uns noch der letzte Erlaubnistatbestand (lit. f) zur Seite. In diesem ist von berechtigten Interessen des Verantwortlichen die Rede. Mit Geschäftspartnern in Kontakt zu bleiben ist selbstverständlich ein berechtigtes Interesse eines jeden Unternehmens. Anders würde es ja auch nicht gehen.

 

Die Rechtsgrundlage der berechtigten Interessen macht es uns aber nochmal ein bisschen schwerer. Wenn wir damit arbeiten wollen, müssen wir noch eine Abwägung der Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person durchführen. Ein berechtigtes Interesse könnte man sich sonst ziemlich einfach mit etwas Kreativität für jeden Fall ausdenken. Die hier geforderte Interessenabwägung kann es durchaus in sich haben. Man muss dafür vergleichsweise tief auf juristisches Fachwissen zugreifen. Allein die Grundrechte und Grundfreiheiten der Europäischen Union zu kennen, kann von einem juristischen Laien nicht erwartet werden. Am Ende steht dann eine Art Besinnungsaufsatz, der in den von Art. 30 DSGVO geforderten Verzeichnissen der Verarbeitungstätigkeiten archiviert werden muss. Hier hilft einem ein Datenschutzbeauftragter mit entsprechender Ausbildung.

Um eine schriftliche Einwilligung kommen wir also im Ergebnis schon einmal herum.

 

Transparenz

 

Der Papierkrieg könnte allerdings mit einer sogenannten Datenschutzerklärung weiter gehen.

 

Zum Zeitpunkt der Erhebung von Daten muss der Verantwortliche dem Betroffenen nach Art. 13 DSGVO eine Vielzahl an Informationen über die Verwendung und Verarbeitung seiner Daten mitteilen. Das muss in der Regel schriftlich oder elektronisch erfolgen.

 

Unter einer Erhebung von Daten bezeichnet man das Sammeln und Auswerten von Daten. Das Sammeln von Visitenkarten entspricht somit auch dem Sammeln von Daten. Wenn man also die Visitenkarte ins Portmonee steckt, spätestens jedoch wenn man die Karte im Büro einsortiert, muss eine Datenschutzerklärung ausgehändigt werden.

 

Sicherheitshalber sollte man somit immer einen Stapel Datenschutzerklärungen auf Papier dabei haben und diese bei der Entgegennahme von Visitenkarten dem Gegenüber zur Unterzeichnung überreichen, so die wortwörtliche Aussage der DSGVO.

 

Die spinnen doch, die EU-Parlamentarier!

 

Das klingt alles verrückt, oder? Will uns die EU hier wieder eine übertriebene Regelung auferlegen?

Nach einer wortwörtlichen Anwendung der DSGVO müsste man folglich wie eben beschrieben vorgehen, sonst würde man sich der Gefahr von gewaltigen Bußgeldern aussetzen, die nach Art. 83 DSGVO nun verhängt werden können. Das kann bis zu 20 Millionen Euro oder gar bis zu vier % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes sein.

 

Die Anwendung von Gesetzen ist jedoch nicht nur auf den reinen Wortlaut begrenzt. Wir Juristen nutzen eine Vielzahl von erweiterten Auslegungsmethoden, um das Recht anwendbar zu machen. Nicht immer reicht der Wortlaut eines Gesetzes aus, um für einen individuellen Einzelfall eine Lösung zu finden. So müssen unter anderem Gerichtsentscheide, der Vergleich mit anderen Gesetzesnormen, die Intention des Gesetzgebers und auch der verfolgte Zweck des Gesetzes herangezogen werden. Auch Wertungen aus höherrangigen Gesetzen, wie dem Grundgesetz, müssen in eine solche umfassende Auslegung einbezogen werden.

 

Reboot: Mehr als nur der Wortlaut zählt!

 

Betrachten wir den eben geschilderten Sachverhalt also noch einmal unter Hinzuziehung von Auslegungsmethoden, die über den reinen Wortlaut hinaus gehen.

 

Eine Besonderheit der DSGVO ist, dass sie neben den gesetzlichen Normen noch einmal 173 sogenannte Erwägungsgründe enthält. Diese erklären detailliert die Intentionen des Gesetzes und nennen sogar praktische Anwendungsbeispiele. Von Visitenkarten ist hier leider nicht die Rede, also müssen wir weiter suchen.

 

Schon in Erwägungsgrund 2 finden wir einige Ausführungen zum Zweck des Gesetzes, in denen von einer Wirtschaftsunion, vom wirtschaftlichen Fortschritt sowie der Stärkung und dem Zusammenwachsen der Volkswirtschaften zu lesen ist. Gleichzeitig wird aber auch das Wohlergehen und der Schutz natürlicher Personen erwähnt. Wir stellen fest, es geht hier um einen Ausgleich der Interessen zwischen der Wirtschaft, die heute mehr und mehr Macht durch den Einsatz von Daten gewinnt, und Privatpersonen, die durch den Missbrauch von Daten gefährdet sind. Die Grundrechte und europäischen Grundfreiheiten werden hier ebenfalls aufgeführt. Die EU-Grundrechtecharta erwähnt in Artikel 8 explizit den Schutz personenbezogener Daten. Auch die Achtung des Privat- und Familienlebens wird in Artikel 7 genannt. Ebenfalls die in Artikel 10 zu findende Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit oder die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit aus Artikel 11 können durch den missbräuchlichen Einsatz von Daten bedroht sein. Vergleichbare Normen finden sich auch im deutschen Grundgesetz.

 

Auf der anderen Seite wird aber auch die unternehmerische Freiheit in Artikel 16 garantiert. Die vier europäischen Grundfreiheiten sind vor allem Freiheiten, die dem Wirtschaftsleben in der EU dienen sollen. Unternehmen sollen ihre Geschäftsmodelle weitgehend ungehemmt am Markt etablieren können. Innovative Geschäftsmodelle sind heute weitgehend datengetrieben. Ohne den Einsatz von Daten würden Teile unseres Wirtschaftssystems zusammenbrechen und das Wirtschaftswachstum würde quasi lahmgelegt werden.

 

Hier prallen verschiedene Interessen aufeinander, die jedoch alle ihre Berechtigung haben. Ziel der DSGVO ist es, diese Interessen in Einklang zu bringen und die Grundrechte von Privatpersonen und Unternehmen zu gleichen Teilen zu berücksichtigen. Keine Seite soll also übermäßig bevorteilt oder benachteiligt werden. Das Aushändigen von seitenlangen Datenschutzerklärungen würde einen Nachteil für Unternehmen darstellen sowie einen deutlichen Mehraufwand für beide Seiten bedeuten.

 

Wie man schon an den teilweise sehr bedeutungsschwangeren Ausführungen von Grundrechten und Grundfreiheiten erkennt; in der DSGVO geht es vor allem um große Themen wie Meinungsfreiheit und Schutz der Privatsphäre. Da passen Visitenkarten nicht so richtig rein. Es ist schwer erkennbar wie einfache Visitenkarten ein Ungleichgewicht in diesen Bereichen herstellen könnten. Der Missbrauch von Visitenkarten-Daten ist sehr unwahrscheinlich. Zum einen stehen dort keine besonders sensiblen Daten drauf. Kontaktdaten von Geschäftspartnern sind kein großes Geheimnis. Zum anderen können Visitenkarten nur von einem sehr beschränkten Personenkreis eingesehen werden, meist sogar nur die Person, der die Visitenkarte übergeben wurde und deren Kollegen. Wenn man bei einer banalen Tätigkeit, wie dem Austausch von Visitenkarten, verlagen würde umfangreiche Datenschutzerklärungen zu überreicht werden, würde dies Unternehmen übermäßig benachteiligen, ohne dass dadurch ein echter Mehrwert zum Schutz persönlicher Daten geschaffen werden würde.

 

Wie wir hier feststellen müssen, haben wir in diesem konkreten Einzelfall ein Wertungswiderspruch zwischen dem Wortlaut des Gesetzes und dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Um diesem Widerspruch Herr zu werden, tun wir Juristen nun etwas total verrücktes: Wir wenden die einzelne kritische Norm für den Einzelfall gar nicht an und tun so, als würde sie gar nicht existieren. Hier spricht man in der juristischen Fachsprache von einer sogenannten teleologischen Reduktion. Legitimiert wird dieses Vorgehen damit, dass der vom Gesetz verfolgte Zweck in sein Gegenteil verkehrt werden würde, würde die Norm eins zu eins nach dem Wortlaut angewendet werden. Die eben dargestellten Wertungen aus den Grundrechten und Grundfreiheiten stehen über der DSGVO. Somit kann die DSGVO im Sinne der Grundrechten und Grundfreiheiten modifiziert werden. Wohlgemerkt ist ein solches Vorgehen nur bei einem individuellen Einzelfall möglich.

 

In unserem Fall, der Aufbewahrung von Visitenkarten, müssen folglich die Transparenzpflichten aus Art.13 DSGVO und die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Verarbeitung aus Art. 6 DSGVO nicht angewendet werden. Visitenkarten können also nach wie vor problemlos ausgetauscht werden.

 

Die Situation kann sich allerdings ganz schnell wieder ändern, wenn der Einzelfall sich ändert. Sobald die Daten von der Visitenkarte in ein elektronisches System eingeben werden, kippt unsere eben durchgeführte Interessenabwägung im Sinne der Grundrechte. Sobald Daten in einem elektronischen System sind, sind sie anfällig gegen Hackerangriffe, können beliebig oft kopiert und weitergegeben werden und können in Kombinationen mit anderen Daten in komplexen Algorithmen zur Profilbildung der betroffenen Person missbraucht werden. An diesem Punkt müssen wir wieder voll auf die umfangreichen Regelungen der DSGVO zurückgreifen, denn genau für solche Fälle wurde sie gemacht.

 

Handlungsempfehlung

 

Erst sobald Sie Daten von Visitenkarten in Ihr CRM oder elektronisches Adressbuch aufnehmen, sollten Sie der betroffenen Person eine Datenschutzerklärung zukommen lassen. Das kann mit der richtigen Software vollautomatisch nach Speichern des Kontakts passieren. Somit macht das Ganze nicht mehr Aufwand als bisher.

 

Wichtig ist allerdings, dass dieses Vorgehen sauber funktioniert, in den Verzeichnissen der Verarbeitungstätigkeiten dokumentiert ist und die Datenschutzerklärung alle wichtigen Punkte abdeckt. Hier steht Ihnen Ihr Datenschutzbeauftragter zur Seite.

 

Fazit

 

Die DSGVO macht es uns nicht leicht. Wie oben dargelegt, lassen sich aber vertretbare Wege finden mit dem Gesetz umzugehen. Dass eine so banale Sache wie der Austausch von Visitenkarten so viel Aufwand für Vorüberlegungen bedeutet, spricht sicher nicht für die DSGVO. Die Komplexität von Datenverarbeitung in ein abstraktes Gesetz zu gießen und dabei die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen, war sicher keine leichte Aufgabe für den EU-Gesetzgeber.

 

Letztendlich ist die Diskussion um Visitenkarten vor allem akademischer Natur, auch wenn eine undifferenzierte Berichterstattung darüber für Clickbait-News oder populistische Anti-EU-Stimmungsmache ein gefundenes Fressen war.

 

Keine Aufsichtsbehörde wird ernsthaft Bußgelder wegen Visitenkarten verhängen, noch würde die Konkurrenz daraus abmahnfähige Wettbewerbsverletzungen ableiten können. Die wahren Herausforderungen lauern ganz woanders. Allein schon eine realistische Risikobewertung würde Überlegungen zu diesem Thema also unnötig machen.

 

In jedem Fall eignete sich unser Beispiel wunderbar um die Tücken der DSGVO und die Intention des Gesetzes aufzuzeigen und somit hoffentlich etwas Licht ins Dunkel des Datenschutzrechts zu bringen.

 

PS: Sicher sind auch andere Meinungen zu diesem Thema vertretbar als die hier dargelegte Meinung. Dass Juristen sich über Meinungen streiten, ist nichts neues, sondern Teil des Systems. Nicht umsonst heißt es: zwei Juristen, drei Meinungen.

 

Im Datenschutzrecht herrscht aufgrund der Neuheit der DSGVO aktuell noch viel Verwirrung. Viele Fragen sind noch offen und bedürfen einer höchstrichterlichen Klärung. So zählt zur Zeit vor allem, dass man Probleme erkennt und sich nach bestem Gewissen darauf einstellt und diese Maßnahmen und Gedanken auch protokollieren kann. Bei diesen Prozessen unterstützt sie zuallererst Ihr Datenschutzbeauftragter.