Kinder auf deutschen Schulhöfen klagen lauthals, dass es youtube 2019 nicht mehr geben wird.

Europäisches Urheberrecht

von Uplaodfiltern, Linksteuern, Lobbyschlachten und politischer Debatte im digitalen Zeitalter

Nach einer hitzigen medienwirksamen Debatte im September 2018 verabschiedete das EU-Parlament den Richtlinienentwurf  “Über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“. Noch ist die Richtlinie nicht abgeschlossen und das Thema polarisiert weiterhin stark.

Befürworter der geplanten Regelungen sind vor allem auf der Seite der Rechteinhaber zu finden, zum Beispiel den Verwertungsgesellschaften und Verlagen wie Axel Springer. Auf der anderen Seite stehen Seite vor allem Verbraucherschützer, Bürgerrechtsorganisationen und die Internetwirtschaft wie Youtube, Google und Facebook.

Der aktuelle Stand

Im September 2018 beschloss das EU-Parlament mit knapper Mehrheit den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt. Die Abstimmung war ein zweiter Anlauf, nachdem ein erster Entwurf Anfang Juli gescheitert war.

Nach der Abstimmung  verhandeln Mitglieder des EU-Parlaments gemeinsam mit der EU-Kommission und dem Rat der Mitgliedsstaaten im sogenannten Trilog über die endgültige Fassung der Richtlinie, im Detail stehen auch noch Entscheidungen aus. Hier sind jedoch keine großen Verwerfungen mehr zu erwarten. Dennoch sprechen sich jetzt schon einige Mitgliedstaaten gegen die Richtlinie aus oder sind noch unentschlossen. Wenn auch sehr unwahrscheinlich, es besteht noch immer die Chance, dass die Richtlinie kippt, was aber eher unwahrscheinlich ist.

Ein Ergebnis wird für den 13. Dezember erwartet. Die Richtlinie soll noch in der aktuellen Legislaturperiode des EU-Parlaments bis Mitte 2019 endgültig fertiggestellt und verabschiedet werden.¹

Beschlossene EU-Richtlinien müssen von den Mitgliedstaaten noch in eigenen staatliche Gesetzen umgesetzt werden, bevor sie volle Wirkung entfalten.

Die kritischen Punkte

Die Richtlinie ist vor allem unter den Stichworten “Uploadfilter” und “Linksteuer” in den Medien bekannt geworden. Diese Begriffe benutzen vor allem die Kritiker, um ihre Kritik mit einfachen Begriffen greifbar zu machen. Tatsächlich ist von Uploadfiltern und Linksteuer in der Richtlinie nichts zu lesen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Regelungen, die hinter den Kampfbegriffen stecken, blieb bisher aus.

Als “Uploadfilter” oder “Zensurmaschine” wurde Artikel 13 des Entwurfes verstanden. Nach Artikel 13 sollen Internetunternehmen für von Nutzern illegal hochgeladene Inhalte unmittelbar haften. Bisher galt, dass die Internetunternehmen erst ab Kenntnis über den bei Ihnen illegal gehosteten Inhalt haften. In der Konsequenz musste das Internetunternehmen nach aktueller Rechtslage bisher erst ab der Kenntnis den illegalen Inhalt löschen. Unklar ist, ob zukünftig das Internetunternehmen die Chance erhält, doch noch aus der Haftung zu kommen, zum Beispiel durch den Einsatz von technischen und organisatorischen Methoden, die illegale Inhalte verhindern sollen.

Ein technischer Inhaltserkennungsdienst könnte in Zukunft eingesetzt werden, um direkt nach dem Upload den Inhalt zu überprüfen und festzustellen, ob das Internetunternehmen eine Lizenz vom echten Rechteinhaber besitzt. Sollte so eine Lizenz nicht vorhanden sein, müsste der Inhalt sofort gelöscht werden, ohne dass er überhaupt öffentlich wird. Dieses Vorgehen wird als “Uploadfilter” bezeichnet.

Ob ein solcher “Uploadfilter” verpflichtend ist, ist noch nicht endgültig geklärt. Er könnte allerdings in der Praxis nötig sein, damit das Unternehmen Inhalte selbsttätig Inhalte filtert um zu überprüfen ob eine entsprechende Lizenz zur Nutzung vorhanden ist. Sollte das Internetunternehmen nicht weitreichende Lizenzen abschließen, müssen alle Inhalte ohne Lizenz durch den Filter gelöscht werden, bevor sie überhaupt auf der Plattform des Unternehmens veröffentlicht werden.

Daran schließt sich die entscheidende Frage an, nach welchen Kriterien Inhalte analysiert und gefiltert werden sollen.

Eine mögliche Gefahr ist hier, dass auch Inhalte vom Erkennungsdienst herausgefiltert werden, die eigentlich gar nicht illegal sind. Dies könnte beispielsweise bei Zitaten passieren, die nach § 51 Urheberrechtsgesetz ohne Lizenz genutzt werden können. Auch Parodien wie Memes, die nach § 24 Urheberrechtsgesetz als freie Benutzung gestattet sind, könnten vom Erkennungsdienst fälschlicherweise herausgefiltert werden, weil der dahinter stehende Algorithmus die feinen Nuancen einer Parodie nicht vom Original unterscheiden kann. Dieses technische Risiko wird von den Kritikern als Einschnitt in die Kunst- und Meinungsfreiheit gesehen. Bisher waren jedoch vor allem die Rechteinhaber im Nachteil. Bis ein Internetunternehmen von den illegalen Inhalten erfährt, werden bereits Downloads, Views und Klicks generiert, woraus das Internetunternehmen durch Traffic, Abonnements und Werbung wirtschaftliche Vorteile erhält.

Wie in der Praxis mit den Millionen von kleinen Rechteinhabern, die nicht in großen Verwertungsgesellschaften, Labels und Verlagen organisiert sind, Lizenzen geschlossen werden ist noch unklar.

Einen Erkennungsdienst für Inhalte nutzt Youtube unter dem Namen Content ID übrigens schon seit Jahren. Hiermit werden Inhalte auf Youtube identifiziert, die Rechteinhaber dort registriert haben. Sollte ein Nutzer einen registrierten Inhalt hochladen, kann der Rechteinhaber bestimmen, was mit dem Inhalt passieren soll. Er kann ihn beispielsweise löschen, freischalten oder monetarisieren lassen also sich an den Werbeeinnahmen, die im Rahmen dieses Inhaltes von Youtube erwirtschaftet werden, beteiligen.

Linksteuer

Wenn ein Internetdienst zusätzlich mit einem Link Textauszüge,  sogenannte Snippets oder Anleser, zeigt, soll dieser in Zukunft nach Artikel 11 der Richtlinie dafür Lizenzgebühren an die Rechteinhaber zahlen. Dieses Leistungsschutzrecht hat in der öffentlichen Debatte den Namen “Linksteuer” erhalten. Der Name ist verwirrend, denn weder ist hier eine Steuer fällig, noch muss für den Link an sich bezahlt werden. Es geht darum, ob für Ausschnitte eines Textes eine Lizenzgebühr fällig ist, wenn mit einem Link auf diesen Text verwiesen wird.

Die Kritiker der Richtlinie vergleichen Anleser mit den Titelblättern von Zeitungen in einem Kiosk. Demnach müssten auch Kioskbetreiber dafür zahlen, wenn Passanten am Kiosk vorbei gehen. Anleser sind Werbung, keine Inhalte, so die Kritiker.

Die Regelung des Richtlinienentwurfs zielt vor allem auf Nachrichten-Aggregatoren wie Google News. In Deutschland und Spanien wurde ein solches Leistungsschutzrecht bereits eingeführt. In Spanien führte dies dazu, dass Google den News-Dienst eingestellt hat. In Deutschland gewährten nahezu alle Rechteinhaber Google eine kostenlose Lizenz, weil Google sonst die Inhalte nicht mehr angezeigt hätte und somit keine Klicks mehr über Google News generiert worden wären. Nun besteht die Hoffnung, dass mithilfe einer EU-weiten Regelung der Internetgigant Google in die Knie gezwungen wird, weil nun die Verhandlungsmacht der Verlage gewachsen ist.

Die Lobbyschlacht

Das Argument, dass die Richtlinie oder das Nichtbestehen eben dieser nur dem Interesse von mächtigen Unternehmen zu Gute komme und nicht der Gesellschaft dient, wird merkwürdigerweise von beiden Seiten vorgebracht. Die Kritiker sehen die großen Verlage wie Axel Springer durch die Richtlinie bevorteilt, die Befürworter sehen Google, Facebook und Youtube im Vorteil, sollte die Richtlinie nicht zustande kommen. Tatsächlich stehen sich auf beiden Seiten mehr oder weniger mächtige wirtschaftliche Akteure gegenüber, die von der Richtlinie unterschiedlich betroffen wären. Auf der Seite der Gegner steht die Internetwirtschaft, also Plattformbetreiber, Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Webhoster, deren Geschäftsmodelle weitgehend darauf aufbauen, fremde Inhalte auf ihren Plattformen zu vermarkten. Die andere Seite sind die Rechteinhaber, also die Verleger, Produzenten, Künstler und Kreativen, die Inhalte erstellen, die heutzutage auf  Internetanbieter angewiesen sind, diese Inhalte zu bewerben oder in Partnerschaft zu monetarisieren.

Im Zuge des Richtlinienentwurfs kam es zu einer regelrechten Lobbyschlacht zwischen den betroffenen Akteuren. In einem Spannungsfeld zwischen den Gegnern stehen die Nutzer und Privatleute. Auf der einen Seite wollen die Nutzer günstige und möglichst einfach zugängliche Inhalte. Auf der anderen Seite muss für dieses Angebot ein stabiler Markt bestehen, in welchem den Kreativen finanzielle Mittel zur Erstellung von hochwertigen Inhalten zur Verfügung stehen.

Die Lobbyarbeit der Rechteinhaber und Internetunternehmen zielt darauf ab, die Nutzer auf ihre jeweilige Seite zu ziehen und somit die Entscheidung der Parlamentarier zu beeinflussen. Die Rechteinhaber brachten Themen wie die Eindämmung des Internetkapitalismus, der Schutz der finanziell unabhängigen Presse und des Qualitätsjournalismus sowie die Eindämmung von Fake News auf die Tagesordnung. Die Gegenseite brachte Begriffe wie die Gefahr der Netzneutralität und Meinungsfreiheit, den Medienwandel und, wie schon oben genannt, die Uplodfilter und die Linksteuer ins Spiel. Dass es diese beiden Begriffe so in den Fokus der Debatte geschafft haben, zeigt, dass die Seite der Richtlinengegner zumindest in Punkto Öffentlichkeitsarbeit die Nase vorn hat.

Youtube fällt mit widersprüchlichen Aussagen auf

Obwohl Youtube schon Vorreiter in Sachen Inhaltserkennung ist hat sich Susan Wojcicki, die Chefin von Youtube, an die „Creators“ von Inhalten auf Youtube gewand und sich gegen die Richtlinie ausgesprochen. Durch die Richtlinie sei die „beeindruckende Kreativwirtschaft“ gefährdet und die Richtlinie bedeute eine “klare Bedrohung für euren Lebensunterhalt“.² Tatsächlich hat die Richtlinie das Ziel die Kreativen, die „Creators“, zu schützen und die Internetgiganten zu fairen Lizenzen zu bewegen. Wojcicki verdreht hier Ursache und Wirkung. In der Vergangenheit ist Youtube bereits negativ aufgefallen weil sich das Unternehmen über Jahre nicht mit der GEMA auf faire Lizenzen für Musik einigen konnte. Dies führte zu den bekannten Sperrtafeln für Inhalte, bei welchen es Youtube so aussehen ließ, als würde die GEMA die Videos sperren lassen. Jedoch war es Youtube selbst, welche die Videos aus Angst sperrten, damit die Rechteinhaber gegen die lizenzlose Nutzung nicht vorgehen.

Der Meinungskampf mit Bits und Bytes

Nicht nur verbal wurde um die Richtlinie gerungen. Auch auf technischer Seite wurde der Kampf fortgesetzt. Von Seiten der Gegner der Richtlinie sind  mit Hilfe von Bots und DDoS-Attacken angeblich vor der Abstimmung schätzungsweise sechs Millionen E-Mails an EU-Abgeordnete versendet worden,die vorspielen sollten, dass die Nachrichten von besorgten Bürger stammen. Hinter einem der Initiatoren dieses Massenmailings steht die Organisation saveyourinterent.eu, die über mehrere Ebenen mit der amerikanischen Industrievereinigung Computer & Communications Industry Organization verbunden ist, der Amazon, Facebook, Google und Uber angehören. In den sozialen Medien wurde die botgesteuerte Meinungsmache auch fortgesetzt und es sollen Gesprächsleitfäden für Telefonate mit Abgeordneten im Umlauf gewesen sein. Sogar von Morddrohungen gegen Abgeordnete wird berichtet, tatsächlich sind einige Abgeordnete aus Angst nicht zur Abstimmung erschienen.³

Der Untergang des Internets

Von den Kritikern der Richtlinie wird wortwörtlich der Untergang des Internets beschoren. Das Internet, wie wir es heute kennen, gebe es mit der Richtlinie nicht mehr.

Die Netzneutralität sei gefährdet, weil das freie Teilen von Inhalten verhindert wird und hier vor allem Blogger, kleinere Newsseiten und sogar private Nutzer treffen wird, so die Kritiker. In der letzten Fassung des Richtlinienentwurfs wurden Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen explizit aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen. Hier waren die Kritiker erfolgreich. Ob das Teilen von Inhalten ohne Lizenz auf den großen Plattformen wie Facebook, Google und Co. tatsächlich eine Bedingung für die vielbeschworene Netzneutralität ist, ist zumindest fragwürdig.

Die politische Debatte

Der Konsum von Medieninhalten hat sich durch das Internet radikal verändert. Ob sich damit auch das Recht ändern muss, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Die Kritiker der Richtlinie stellen fest, dass das Urheberrecht  nicht schuld sei am Medienwandel. Ist es daher sinnvoll, möglicherweise antiquierte Geschäftsmodelle unter besonderen Schutz zu stellen und somit moderne Technologien und Geschäftsmodelle auszubremsen?

Auch wenn beide Seiten in der Debatte einfache Antworten mit simplen Kampfbegriffen und bedeutungsschwangeren Diskussionen, um Meinungsfreiheit und Internetkapitalismus geben, wird diese Frage nicht einfach zu beantworten sein. Für die Meinungsfreiheit einzustehen und die Schwachen zu schützen, reklamieren interessanterweise beide Seiten für sich.

Die Richtlinie könnte dazu führen, dass die Profiteure des Medienwandels etwas mehr als bisher oder überhaupt erst einmal Geld an die Urheber zahlen müssen. Aber dies ist ungewiss, weil die Kreativwirtschaft von den Internetgiganten abhängig  ist, wie das Scheitern des Leistungsschutzrechts für News-Anleser in Deutschland und Spanien zeigt. Die Richtlinie kann das Gefüge der Kreativ- und Internetwirtschaft jedoch nicht auseinanderreißen. Dafür ist sie im Anwendungsfall zu speziell. Sie trifft nur große gewinnorientierte Internetunternehmen. Wo die Grenzen für Größe und Gewinnorientierung liegen, ist allerdings noch nicht entschieden.

In dieser, in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen geprägten Debatte, das große Faß rund um Meinungsfreiheit, Netzneutralität und Grundrechte aufzumachen schießt weit über das Ziel hinaus, eignet sich allerdings hervorragend um mit populistischer Meinungsmache die an einfachen und emotionalen Antworten interessierten Teile der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen.

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¹ https://www.urheber.info/aktuelles/2018-10-29_spekulationen-rund-um-das-zweite-trilog-treffen
²
https://youtube-creators.googleblog.com/2018/10/a-final-update-on-our-priorities-for.html
³ http://einspruch.faz.net/recht-des-tages/2018-08-18/b150cb44b8b4b2a08e087bf54978cd56/?GEPC=s5